Eine Impfung für Jan Hus
Ein geliehenes Gemälde für die Luther-Ausstellung wird derzeit restauriert / Davon profitieren alle
Von Johannes Götzen
Worms – Am Finger von Jan Hus sieht auch der Laie, dass dieses Bild unbedingt etwas Pflege braucht. Jedenfalls dann, wenn Anke Becker den Betrachter darauf hinweist und noch dazu mit einer Taschenlampe die Stelle ausleuchtet. Die Diplom-Restauratorin wird nun also eine Spritze zur Hand nehmen, wie sie derzeit hundertfach im Impfzentrum genutzt wird. Allerdings wird sie diese nicht mit Impfstoff, sondern mit einem ganz speziellen Störleim füllen. Der wird aus der Schwimmblase dieses Fisches gewonnen und hat eine besonders hohe Klebkraft. Mit feiner Nadel wird er unter die abzublättern drohende Farbschicht gespritzt und dann das Ganze sanft mit dem Heißspachtel angedrückt und ausgehärtet.
Gemälde stammt aus dem 17. Jahrhundert
Das ganze passiert derzeit im Atelier von Anke Becker in der unteren Kämmererstraße. Gut eine Woche Arbeit hat sie mit diesem Gemälde, das im Zentrum Martin Luther und um ihn herum die Reformatoren wie eben Jan Hus zeigt. Ist das etwa eineinhalb auf einen Meter große Gemälde gereinigt, die Schadstellen ausgebessert, alles dokumentiert und der neue Rahmen von der Kunsthandlung Steuer fertig, wird es ins Museum Andreasstift gebracht. Dort soll es an zentraler Stelle der Luther-Ausstellung „Hier stehe ich. Gewissen und Protest 1521 – 2021“ gezeigt werden.
Wer das Gemälde schuf, ist nicht bekannt. Wohl aber, dass es aus dem 17. Jahrhundert stammt. Es könne wunderbar die Klammer bilden zwischen zwei Teilen der Ausstellung, sagt Dr. Olaf Mückain, wissenschaftlicher Leiter des Museums. Auf der einen Seite Luthers Auftritt vor Kaiser und Reich in Worms und dann das, was daraus in späteren Jahren und Jahrhunderte folgte. Gemälde wie dieses sollten immer auch eine Geschichte erzählen, einen Standpunkt deutlich machen, vielleicht auch ihrerseits ein Protest sein. So sitzen Martin Luther und die anderen Reformatoren um ihn herum im Licht. Im Dunklen dagegen, unten am Bildrand, deutlich kleiner der Papst oder eine hund-artige Figur mit fletschenden Zähnen, ein Dämon, der Teufel selbst vielleicht. Im Hellen also die Guten, im Dunklen die Bösen.
Ein Kunsthändler aus Norddeutschland hatte es angeboten, es war eines der ersten Objekte, das für die Luther- Ausstellung feststand. Dass es nun gründlich von Anke Becker untersucht und an einigen Stellen restauriert wird, ist für beide Seiten ein Vorteil: Worms bekommt es für die Ausstellung ausgeliehen, der Besitzer bekommt es in deutlich besserem Zustand zurück. Was so profan klingt, ist in der Welt der Ausstellungen ein zunehmend wichtiges Thema. Denn es ist alles andere als selbstverständlich, dass kostbare Werke einfach so ausgeliehen werden. Da ist es von großem Vorteil, dass das Museum Andreasstift nicht nur auf Anke Becker zurückgreifen kann, sondern mit Michael Adam auch einen eigenen Restaurator hat. Er hat zum Beispiel gerade ein Schwert abgeholt. Nicht irgendeines, sondern jenes, das einst der Reichsherold Kaspar Sturm schwang. Er hatte Luther von Wittenberg nach Worms begleitet. Das „Lutherschwert“ blieb zunächst im Besitz der Familie, wurde später verkauft und dann als Dauerleihgabe ins Wetterau-Museum nach Friedberg gegeben.
Als erstes hat Michael Adam eine Transportkiste gebaut, wie er das für viele andere Exponate auch getan hat. Außen fest aus Holz, innen vor allem weich und gedämmt. Eine „Klimakiste“ also, die Temperaturschwankungen verhindert. Diese müssen stets passend für die Exponate gebaut werden, in diesem Fall also für ein gut zwei Meter langes Zweihänder-Schwert. Jetzt in Worms passiert ganz Ähnliches wie mit dem Gemälde. Das Schwert wird gereinigt und imprägniert, das Lederband wird so behandelt, dass es nicht weiter austrocknen kann, das Holz am Griff mittels Wachs ebenso. Es ist das gleiche Prinzip: Worms bekommt das Schwert ausgeliehen, der Besitzer bekommt es überarbeitet zurück.
Das alles wird exakt in Verträgen festgeschrieben. Adam zeigt dazu den „Facility-Bericht“ zum Andreasstift, den Leihgeber fordern: Welche Alarmanlage ist vorhanden, welche Klimaanlage, meistens auch Protokolle der Temperatur- und Luftfeuchtigkeitsmessungen über einen langen Zeitraum. Bei besonders wertvollen und empfindlichen Stücken erwarten die Besitzer inzwischen, dass die laufenden Klima-Messungen auch während der Ausstellungsdauer in eine Daten-Cloud geladen werden, wie sie regelmäßig eingesehen werden können. Wobei Adam in diesem Fall dankbar ist für die Digitalisierung. Bei der Reichstags-Ausstellung 1995 musste er tatsächlich für ein Exponat täglich einen Klimabericht nach Wien zum Besitzer schicken. Per Fax.
Das Gemälde „Luther und die Reformatoren“ steht übrigens zum Verkauf. Auch deshalb hatte der Kunsthändler es der Stadt Worms angeboten. Ein fünfstelliger Betrag ist aufgerufen, zur genauen Summe wird geschwiegen.
Wormser Zeitung | 15. Juni 2021 | Weitere Presse-Artikel