Wormser Wochenblatt

Sie hat ein Gespür für Kunst

Anke Becker kümmert sich in ihrem Restaurierungsatelier um Skulpturen und Gemälde

VON MARTHA THOR UND UWE RADON

WORMS – Auf einer Kreuzwegszene ist die Farbe abgeblättert. Das Ölgemälde stammt aus einer Bensheimer Friedhofskapelle. Nachdem die schadhaften Stellen gefestigt und gekittet sind, retuschiert Anke Becker in der Kämmererstraße 65 mit Aquarellfarben. Es geht um die Reversibilität. Ihr Tun kann jederzeit wieder entfernt werden: „Würde ich Ölfarbe verwenden, würde diese im Laufe der Zeit unlöslich auftrocknen.“

Die 43-Jährige findet es immer wieder faszinierend, welche Geschichten ihr die Gegenstände erzählen, die ihre Kunden zur Restaurierung in ihr Atelier tragen. Seit 2006 hat die Herrnsheimerin ihre Werkstatt im Herzen der Nibelungenstadt. Anfangs war es für sie noch etwas gewöhnungsbedürftig, doch mittlerweile hat sie sich daran gewöhnt, dass immer wieder Schaulustige stehen bleiben und ihr bei der Arbeit zuschauen oder sogar neugierig die Köpfe in die kleine Werkstatt stecken: „Manche kommen auch rein, und wollen Näheres wissen.“

In dem weiß getünchten Raum mit Granitsteinboden riecht es nach Farbe und Lösungsmittel. Mehrere Scheinwerfer verbreiten Tageslicht auf dem großen Werktisch, an dessen Rand Behälter mit Pinseln in allen Größen stehen. Zu ihrem wichtigsten Werkzeug gehören Selbstgefertigte Wattestäbchen. Die Leidenschaft für ihr Metier begann mit einem Praktikum bei der Werkstatt Wurmdobler in Erbes-Büdesheim. Diese zwei Jahre Erfahrung waren die Voraussetzung für das fünfjährige Studium an der Hochschule für angewandte Wissenschaft und Kunst in Hildesheim.

Studium in Hildesheim

Nach ihrem Abschluss im Jahr 2003, war sie eine Zeit als Restauratorin bei Wurmdobler angestellt, bevor sie sich als freie Mitarbeiterin selbstständig machte und letztendlich vor 13 Jahren das eigene Atelier in der Lutherstadt eröffnete. Heute besteht ihre Arbeit zur Hälfte aus eigenen Aufträgen, die über Internet, Empfehlungen oder Laufkundschaft hereinkommen sowie durch Projektarbeiten im Team, meist in Gotteshäusern oder an Kunstdenkmälern. „Im März steht in Groß-Rohrheim eine größere Aufgabe in der dortigen evangelischen Kirche an“, verrät sie. Ihr Aktionsradius reicht von Mainz bis Heidelberg und Bad Nauheim, „denn weiter lohnt sich die Anfahrt nicht“.

Großes Spektrum

Ob wertvolle Kunstgegenstände, Familienerbstücke oder Trödel, bei Becker erfährt jeder „Patient“ dieselbe Beachtung. Kittet sie einen Umzugsschaden an einem Rahmen, zieht sie zum Beispiel mit einer Spritze und einer feinen Kanüle einen speziellen Leim auf Acrylbasis auf und spritzt diesen in die feinen Risse. Kitten, Retuschieren, Nachbauen – das Spektrum ihrer Arbeit ist groß, ebenso auch die preisliche Differenz, die sich jenach Zerstörungsgrad des Gegenstandsund des damit verbundenen Arbeitsaufwands richtet. Pro Auftrag muss ein Kunde mit fünf bis sechs Wochen Wartezeit rechnen.

Die Künstlerin erlebt auch ganz besondere Momente: „Für mich ist die Firnisabnahme am spannendsten, denn da sieht man den Vorher-Nachher-Effekt“, beschreibt sie den Moment, wenn nach der Reinigung eines Gemäldes die ursprünglichen Farben zum Vorschein kommen. Durststrecken hatte sie seit ihrer Unternehmensgründung nicht. Termine macht sie meist nach Vereinbarung aus, denn sie ist ja nicht immer in ihrem Atelier. Und manchmal gibt es auch Folgeaufträge. So gibt es noch mehr Kreuzwegmotive in der Bensheimer Kapelle: „Wenn wieder genug Geld gesammelt wurde, kommt das nächste Ölgemälde auf meinen Arbeitstisch.“

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Wormser Wochenblatt  |  28. Februar 2019  |  Weitere Presse-Artikel