Wormser Zeitung

Kleinstpartikeln auf der Spur

Anke Becker kümmert sich im und abseits ihres Restaurierungsateliers um lieb gewonnene und kulturelle Schätze


Von Ulrike Schäfer

WORMS. Anke Becker beugt sich mit prüfendem Blick über eine Figur, die den gekreuzigten Jesus darstellt. „Es ist eine sehr qualitätvolle Schnitzarbeit, wahrscheinlich von einem süddeutschen Künstler“, erläutert sie, „aber sie ist in keinem guten Zustand.“ Die Arme, die mit feinen Dübeln am Körper angebracht waren, sind abgebrochen, und bei der Untersuchung der verschiedenen Fassungen mit Lupenbrille und UV-Licht hat Becker winzige Partikel wie Kristalle auf der obersten Farbschicht der Skulptur entdeckt. Sie vermutet, dass sie irgendwann mit einem Holzschutzmittel behandelt wurde, um einen Schimmelpilz zu bekämpfen. Die Probe, die sie genommen und eingeschickt hat, wird Klarheit bringen.

Möglicher Schimmelbefall an Christusfigur
Das Kruzifix stammt aus der Inselkapelle des Englischen Gartens von Schloss Eulbach bei Michelstadt. Das ganz mit Baumrinde verkleidete Kirchlein ist eine Sehenswürdigkeit. Der Besitzer lässt es derzeit sanieren, und eine Kollegin hat ihm Anke Becker für die Instandsetzung der Christusfigur empfohlen. Nach der Restaurierung soll die Skulptur über Winter ausgelagert werden, denn das schwankende Raumklima in der Kapelle dürfte für die vermutete Schimmelbildung verantwortlich sein.

Anke Becker mangelt es selbst in Zeiten wie diesen, wo am ehesten an der Kultur gespart wird, nicht an Aufträgen. In ihrem Atelier in der Kämmererstraße lehnen Gemälde an der Wand und kleine Heiligenfiguren und ein Kinderkopf aus Gips mit verschmitztem Lächeln stehen auf dem halbhohen Schrank. Meistens fragen Privatleute an, die Liebgewordenes wieder in einen ansehnlichen Zustand bringen lassen wollen. Becker entstaubt die Stücke, reinigt sie, bessert kleine Fehler aus. Zaubern kann sie allerdings nicht. „Wenn ich sehe, dass eine Reinigung einem Bild eher schadet als nützt, lehne ich den Auftrag ab“, sagt sie.

Einen großen Teil ihrer anspruchsvollen Restaurierungsarbeiten, beispielsweise die Aufarbeitung von Altären, Fresken, die Grabplatte Rudolf von Habsburgs im Speyerer Dom oder die Vergoldung der Fenstergitter am Haus Glückert in Darmstadt muss sie an Ort und Stelle durchführen, je nach Umfang auch gemeinsam mit Kolleginnen. Der Radius ihrer Aufträge ist beeindruckend groß.

In Worms hat sie das Zunftwappen der Fischer freigelegt und rekonstruiert, eine Kopie des romanischen Kreuzes im Dom geschaffen und die Kanzel in St. Martin restauriert. Daran erinnert sie sich besonders gern. Es sei zwar ein langwieriges und anstrengendes Verfahren gewesen, aber es habe sich gelohnt. „Das Beste war, dass ich entdeckt habe, dass am Schalldeckelvorhang ganz offensichtlich etwas fehlte.“ In der Literatur habe sie gefunden, dass es sich um vergoldete Bommeln gehandelt haben musste. Nach Rücksprache mit der Denkmalpflege wurden dann 60 Bommeln neu gegossen. Jetzt ist das Bild perfekt.

Wie wird man eigentlich Restauratorin? Anke Becker, Mutter zweier Kinder, hat ihre Neigung zu diesem Beruf entdeckt, als in Herrnsheim die Kirche St. Peter restauriert wurde. Nach einem zweijährigen Vorpraktikum bei Vitus Wurmdobler in Erbes-Büdesheim studierte sie an der Fachhochschule für angewandte Wissenschaft und Kunst (HAWK) in Hildesheim und hat in verschiedenen Gemeinschaftsprojekten mitgearbeitet. Seit 2003 ist sie selbstständig und sagt mit Nachdruck: „Ich habe es nie bereut, diesen Beruf gewählt zu haben.“

 

 

Wormser Zeitung  |  25. Mai 2024  |  Weitere Presse-Artikel

 

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